Nicht rechts, nicht links, sondern unten

Der Magdeburger Montagsdemonstrant Andreas Ehrholdt wollte in den Bundestag, fand aber nicht genügend Unterstützer

  • Damiano Valgolio
  • Lesedauer: 4 Min.
Es ist nicht viel los auf dem riesigen Parkplatz. Zwischen Discounter, Baumarkt und Tommys Grill-Imbiss steht im Nieselregen ein korpulenter Mann mit seinem Klemmbrett. Er belauert den Aldi-Ausgang. Sobald einer der wenigen Kunden herauskommt, fragt er: »Haben Sie eine Minute Zeit? Ich bin Andreas Ehrholdt.« Dann wartet er kurz ab, ob es klick macht. Die müssen ihn doch noch kennen!
Vor gut einem Jahr beschrieben die Zeitungen Ehrholdt als »Helden von Magdeburg«. Er war es, der im Sommer 2004 mit ein paar selbst gemachten Plakaten gegen Hartz IV die Lawine der Unzufriedenen losgetreten hat. Die erste Montagsdemo in der sachsen-anhaltischen Landeshauptstadt war seine Idee. Der arbeitslose Bürokaufmann, der beim Reden manchmal leicht schnauft, wurde zu einem der begehrtesten Interviewpartner der Republik. Eine alte Parole tauchte auf: »Wir sind das Volk«. Mitte August folgten Ehrholdt mehr als 10 000 Demonstranten. Mit wütendem Gesicht, in T-Shirt und kurzer Hose zogen sie durch Magdeburg.
Zwölf Monate später erkennt kaum einer Andreas Ehrholdt wieder. Dieses Jahr ist der August viel kälter, in jeder Hinsicht. »Schon 2004 ist der heiße Herbst ausgeblieben«, sagt Erholdt. Jetzt hätten die meisten Menschen resigniert. Er selbst bezieht seit Januar Arbeitslosengeld II, rund 190 Euro weniger als vorher. Vielleicht deshalb macht er weiter. Und nicht nur das: Ehrholdt fand eine neues Ziel - den Bundestag. Dafür sammelt er mit dem Klemmbrett Unterschriften. 200 braucht er, um als Direktkandidat antreten zu können.

In sechs Tagen nach Berlin

Auf seinen Flugblättern steht »Für ein Leben in Würde und Anstand« und »Für eine echte Grundsicherung«. Doch viele halten die Zettel für Werbung. Ein junger Mann winkt ab: »Keine Zeit, muss auf Arbeit.« »Du Glücklicher«, sagt Ehrholdt. Brigitte Jäkel hat Zeit und unterschreibt. »Vielleicht kann er was ändern. Es kann nicht so weitergehen mit der Arbeitslosigkeit.«
Doch die meisten halten sich zurück. Selbst in seinem Heimatort Woltersdorf unterstützten nur 30 Menschen die Kandidatur. Für viele Dorfnachbarn ist Ehrholdt wieder der komische Kauz, der er vor den Protesten im letzten Jahr schon war. Ein Querulant, der sich mit dem Bürgermeister wegen der neuen Abwasserleitungen angelegt hat. In allen möglichen Parteien war er schon, von SED bis CDU. Und nun will er eben den Bundestag, denkt man im Ort und lächelt.
Und doch muss man nach Woltersdorf, wenn man Andreas Ehrholdt verstehen will. Er wohnt gemeinsam mit seinen Eltern in einem etwas baufälligen Haus. Der Haustür wird von einem selbst gezimmerten Vordach geschützt, im Flur lösen sich die Linoleumfliesen. Seit Hartz IV greift, muss Ehrholdt auf Festnetzanschluss und Internetzugang verzichten. In seinem kleinen Zimmer liegt nur eine Zeitung herum, eine Fernsehzeitschrift. Auf dem Schrank steht eine kleine Trophäe: Platz vier bei der Wahl einer Lokalzeitung zum »Magdeburger des Jahres«.
Fast sieben Jahre ist Ehrholdt nun ohne Job. Regelmäßig schaltet er Annoncen mit Arbeitsgesuchen. Vor einigen Wochen ging der 43-Jährige wieder auf die Straße. Er startete einen »Protestgang« ins 180 km entfernte Berlin. Gegen Sozialabbau und Schröders Vertrauensfrage, die Ehrholdt für verfassungswidrig hält. Als er nach sechs Tagen Fußmarsch mit Handkarren und Transparenten die Berliner Gedächtniskirche erreichte, warteten nur ein paar eiserne Montagsdemonstranten auf ihn. Trotzdem resigniert Andreas Ehrholdt nicht. »Ohne die Proteste im letzten Jahr hätten wir schon Hartz V oder Rogowski I«, bilanziert er.
Die Kürzungen sind gegen das Grundgesetz sagt Ehrholdt. »Konzerne und Aktionäre werden entlastet, soziale Gerechtigkeit gibt es nicht mehr.« Die Parteien seien Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für nutzlose Politiker. Die Großkonzerne importierten aus Kasachstan. Manchmal geht es etwas durcheinander bei Ehrholdt. Er sei womöglich gar ein Rechter, wurde im vergangenen Jahr vermutet, wegen seiner früheren Mitgliedschaft in der obskuren Mittelstandspartei und einigen Glatzköpfen bei den Magdeburger Demos.
Doch Andreas Ehrholdt ist so wenig rechts wie im traditionellen Sinne links. Er ist unten. Der Arbeitslose kämpft nicht gegen Atomkraft oder die Globalisierung, sondern ums Überleben. Vielleicht steht er für etwas, das der Dokumentarfilmer Martin Keßler, der Ehrholdt lange begleitet hat, »die neue Wut« nennt.

Ein Jacket für 29 Euro

Im vergangenen November gründete er mit 40 Mitstreitern die »Freien Bürger für soziale Gerechtigkeit«. Damals kaufte er sich für 29 Euro sein schwarzes Jacket. »Wegen der ganzen Kameras.« Doch weiterer Zulauf blieb der Partei verwehrt. »Ich weiß nicht, ob das weiter verfolgt wird«, sagt der kommissarische Vorsitzende Ehrholdt.
Die Parteigründung war nur eine seiner fixen Ideen, genau wie der Marsch nach Berlin und nun die Bundestagskandidatur. Doch daraus wird nichts: Bis zum Stichtag hat Ehrholdt die 200 Unterschriften nicht beisammen. Er wolle nicht im Kreise der Etablierten mitschwimmen, sagt später der Mann, der im Sommer 2004 mit einer Idee das ganze Land in Aufruhr geriet. Andreas Ehrholdt wartet darauf, dass das wieder passiert.
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